Charakter und Manier

So fassbar die physischen Dynamiken in der Adoleszenz sind (hormonal gesteuerte Eigenheit der maskulinen und fraulichen Erscheinung und des Geschlechtscharakters, unweigerliches Längenwachstum), im gravierenden ist die Pubertät in unserer Kultur ein bioseelisches und soziologisches Erscheinungsbild: Die Zerwürfnisse mit den Anforderungen des Erwachsenseins sind leicht durchschaubar, der Adoleszent ist veranlasst sich aus den Abhängigkeiten des Kindseins befreien und in allen elementaren Lebensbereichen selbstbestimmt und selbstverantwortlich werden.

In dieser Situation des Wandels sind Konflikte, vor allem Rollen- und Statuskonflikte, zwingend. Die Adoleszenz dauert in unserer Kultur beachtenswert lang. Je verschachtelter die Voraussetzungen einer Gesellschaftsstruktur sind, desto mehr braucht es, bis man zu einem gleichgestellten Mitglied geworden ist; in primitiven Kulturen gibt es eine Pubertät in unserem Sinngehalt keineswegs. Jeder Adoleszent darf sich in der Pubertät mit bestimmten Angelegenheiten auseinandersetzen (so benannte epochal unabhängige Aufgaben).

Eine der Aufgaben ist die Selbstfindung. Voraussetzung dazu ist die erst in diesem Lebensintervall schaffbare Selbstspiegelung, das Nachdenken über sich selbst. Im Zuge dessen wird darüber hinaus das Toleranz für fremdpsychische Prozesse erreichbar. In der Schriftwerk werden bereits differenziertere Persönlichkeitsdarstellungen benötigt, und obendrein der Sinn für Mutter Natur und Kunst erwacht.

Die Persönlichkeits-findung beginnt bei der elementaren Überprüfung des eigenen Äußeren (Identifikation mit den Maßstäben der Peer-Gruppierung, Nachahmen von erfolgreichen Individuen) und verlagert sich hinterher prompt auf Eignungen, Eigenschaften und interne Qualitäten. Vorbilder (lebendige oder historische Individuen oder Helden der Literatur) sind bei der Ichfindung von Wichtigkeit.

Erstaunlich ist, dass die Bevorzugung der Idole schichtabhängig ist: Jugendliche der Unterschicht wählen eher prestigevolle SportlerInnen und AkteurInnen zum Idol. Sie richten sich dabei an deren Fortuna und an deren äussere Gestalt.

Jugendliche der Mittel- und Oberschicht küren zum Vorbild eher Wissenschaftler und involvierte Volksvertreter, wobei sie den Charakter und die subjektive Manier namentlich taxieren. Mit steigendem Alter und allmählicher Selbstprofilierung vermindert sich die Maßgeblichkeit der Idole. Die Signifikanz der Eltern als Vorbilder ist nicht offensichtlich, sie scheint jedoch sehr groß zu sein.